LAN TUAZON

MOLE. Medium für kulturelle Nahversorgung, Tirol#08 2012 / Rosanna Dematté

THE ORDER OF THINGS

Die New Yorkerin Lan Tuazon schaut auf der Terrasse des barocken Büchsenhausen aus wie ein Graffito an einem denkmalgeschützten Gebäude: farbgesättigt, zeitgenössisch, gerissen. Adaptionsprobleme hatte sie in Innsbruck kaum, obwohl sie einen Mangel an kultureller Vielfalt in der Stadt ausmacht. Die auf den Philippinen geborene Künstlerin hat „racial diversity“ für sich längst verinnerlicht und kann das Dilemma der Kulturassimilierung mit einem Satz erledigen: „The more perfect you assimilate, the more different you’ll be.“ Vor dem Hintergrund der Bürgermeisterwahlen in Innsbruck behauptet Lan Tuazon, unsere Herkunft („roots“) sei nicht so wichtig, da wir alle dieselbe politische Situation teilen müssten.
Zwischen den Begriffen „common place“ und „idea of property“ ansetzend, hat Tuazon angefangen, die Struktur von Gesellschaft und Politik und deren Geschichte anhand von Bauprojekten und Stadtplanung zu analysieren. Für die Ausstellung Ingredients of Reality: the Dismantling of New York City (Storefront for Art & Architecture, New York, 2012) fertigte die Künstlerin über 120 Holzmodelle von verschiedenen Bauwerken in New York, um diese nebeneinander auf Regalen zu präsentieren. In ihrem New York City Bar Graph sind die öffentlichen, gemeinschaftlich genutzten Gebäude neben den privaten Riesen von Banken, Hotels und Konzernen winzig klein und vor allem zu wenige.
Das ist nur ein Ansatz einer umfangreichen Auseinandersetzung der Künstlerin, in welcher sie sich Daten und Statistiken bedient, um nach einer neuen Logik zu suchen, einer neuen Ordnung der Dinge.
Ausgehend von Eric Hobsbawms Essay Cities and Insurrection (Städte und Aufstände, 1973) beobachtete sie, wie Städtebau auf sozialen und politischen Ebenen wirken kann: „Ich begann, europäische Städte zu analysieren, die sich im Vergleich zu US-Städten organischer entwickelt haben. Es gibt in den Städten Europas meistens einen öffentlichen Raum der Versammlung, was in den USA aus kontrollstrategischen Gründen fehlt.“ Architektur könne verrückt machen und die Menschen in ihrem Aktionsraum stark beeinflussen. Ein weißer Streifen am Rand der Straße, wie jener auf der Weiherburggasse vor Büchsenhausen, reicht, um das Gehen der Fußgänger innerhalb dieses gemalten Gehsteigs zu limitieren.
Tuazons Methode der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit besteht im Aufnehmen („absorbing“) aller Zutaten einer Realität, um für diese dann eine neue Struktur anhand historisch existierender Ordnungen zu finden. Das zeigte sie im Projekt On the Wrong Side of History für das Brooklyn Museum (2011). Mittels gezeichneter Studien zu den Museumsobjekten beleuchtete sie die Systematik der Sammlung und schlug – eher den MuseumsbetreiberInnen als den BesucherInnen – neue Anordnungsmöglichkeiten vor. Zusätzlich intervenierte sie in der Ägyptischen Sammlung des Museums, indem sie in der Ausstellung eigens produzierte Skulpturen nach Kategorien des 16. Jahrhunderts platzierte. Sie folgte dabei der von Michel Foucault beschriebenen Ordnung der Ähnlichkeiten, der Convenientia (Nachbarschaftlichkeit), Aemulatio (Nacheiferung), Analogie, Sympathie und Antipathie.

Ihre aktuelle Arbeit mit verschiedenen Ordnungssystemen zum Thema Stadt und Architektur sucht nach einer neuen „megastructure“: einer Re-Organisation der bestehenden Zutaten aufbauend auf der Analyse der in der Vergangenheit konzipierten Utopien sowie realisierten Sozialprojekte. „Auf der Welt werden heute viele (neoliberale) Utopien verwirklicht. Die sind aber nicht für uns.“
Lan Tuazon wohnt und arbeitet neben Susan Kelly, Ivana Marjanovic und Sandra Schäfer bis Juni 2012 im Innsbrucker Künstlerhaus Büchsenhausen im Rahmen des Internationalen Fellowship-Programms für Kunst und Theorie.

Image: Lan Tuazon, Zoom, 2010