Heidrun Sandbichler

MOLE. Medium für kulturelle Nahversorgung, Tirol#05 2011 / Rosanna Dematté

 „Mein Atelier in Rom ist ein verwunschener Ort, es tropft und die Mauern bröseln.“

Durch eine schmale Gasse in Rom, im Stadtviertel Monti, wo keine romani sondern montigiani wohnen und wo sich das Atelier von Heidrun Sandbichler befindet, öffnet sich der Blick breit auf die Pinien der römischen Fori und auf die Kuppel der mächtigen Kirche Il Gesù. Vor einigen Jahren entschloss sich die gebürtige Innsbruckerin Heidrun Sandbichler hierher zu ziehen. „Das Licht ist besser als in Österreich und ich kann in der Früh aufstehen und die Sixtinische Kapelle besuchen. Rom ist ein guter Ort zum Denken und zum Arbeiten, der Alltag ist freier als in Österreich.“ Ihr Interesse gilt der konzeptuellen Zeichnung und Skulptur – „Ordnen und Unordnung machen, Gegensätzliches zueinander führen und Unmögliches auf ein Blatt bringen.“

Die Künstlerin hat Tirol verlassen, weil sie zu ihrer Sozialisierung etwas anderes hinzufügen wollte und sie ist in Rom, weil es für sie keine andere Stadt auf der Welt gibt, die im Verlauf vieler Jahrtausende immer wieder zu so unterschiedlichen Zeitpunkten Kunst in höchster Qualität hervorgebracht hat. „Den Topos, dass KünstlerInnen Tirol verlassen müssen, um international erfolgreich arbeiten zu können, halte ich für gefährlich. Das würde bedeuten, dass die Kulturpolitik die Macht hat, KünstlerInnen zu vertreiben. Das heißt aber nicht, dass die kulturelle Situation in Tirol nicht schwierig ist. Die Politik ist zu nah an der Kunst und die Kunst zu nah an der Politik – sie hat zu wenig Interesse für die Kunst und zu viele andere Interessen.“ In ihrem römischen Atelier, einem spätantiken Wandelgang, kann sie konzentriert arbeiten. Zeichnungen, Malerei, Skulptur, Fotografien und Installationen entstehen nach einem langen Prozess, der der Entwicklung der Stadt Rom ähnelt: Auf ältere Schichten wurden neue gebaut, Ziegel auf Ziegel, Stein auf Stein über Jahrhunderte, wodurch sich die Geschichte der Stadt und ihrer Menschen nicht so einfach offenbart. So verbrennt Heidrun Sandbichler etwa ein Blatt Papier und zeichnet minuziös das verbrannte Blatt, Punkt für Punkt, Strich für Strich, nach. Die schwarze Tinte stellt gleichzeitig Ursache und Wirkung, Feuer und Asche eines erlittenen Prozesses dar.
Natur- und Kulturphänomene scheinen für die Künstlerin gleichwertig interessant zu sein und werden keiner Kategorisierung unterworfen. Zuletzt hat sie sich mit Locus Solus dem 1914 erschienenen Roman von Raymond Roussel auseinandergesetzt: die Erzählung der Besichtigung eines ausgedehnten Parks, der wie die Werke Sandbichlers voller Windungen und Labyrinthe, voller Erfindungen, Bruchstücken und Bezügen ist. In einer gegenständlichen wie auch abstrakten Formensprache entstehen Sinnbilder des Ungewöhnlichen, der Einsamkeit und Isolierung.
Heidrun Sandbichler war unter anderem in Rom, Prato, Turin und Bozen an wichtigen Ausstellungen beteiligt. Vom 17. Juni bis 21. August sind ihre Arbeiten in der Ausstellung L’Italia alla finestra. Außen- und Innensichten im Barockkeller der Hofburg Innsbruck, sowie vom 1. bis 23. Oktober in der Einzelausstellung Locus Solus im Museum der Rohner Privatstiftung (Lauterach/Bregenz) zu sehen.

Fotocredits: (c) Heidrun Sandbichler